Moskau

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Positive Thinking

Vorgestern habe ich fast zwei Stunden gebraucht, um mit dem Trolleybus von der Metro bis zu meiner Haltestelle zu kommen. Zum Vergleich: Normalerweise brauche ich rund 20 Minuten, im Idealfall (spät nachts) sieben Minuten. Ich habe mich vorgestern im Berufsverkehr lange darüber geärgert, dass es nicht voranging. Bis mir klar wurde: Für 27 Rubel - das sind bisschen über 50 Cent - kann man so lange sonst nur in Südostasien busfahren!

Montag, 4. Oktober 2010

Und Deutsch?

Ein strahlend schöner Herbstnachmittag, Bewohner meines Hauses stehen und sitzen vorm Eingang, unterhalten sich über dies und das. Schwungvoll rolle ich mit meinem großen Koffer - Teil eines Dreiersets, treue Blogleser werden sich erinnern - um die Ecke: "Guten Tag!" Ich bin zurück aus dem Westen, daher wieder mit Ohrstöpseln unterwegs. "Guten Tag" sage ich immer, denn hier ist Nachbarschaft Trumpf. Gedämpft höre ich eine Frauenstimme, nehme die Stöpsel raus, gucke sie fragend an. Sie wiederholt: "Kommen Sie vom Flughafen?"
"Ja."
"Ach, haben Sie Urlaub gemacht?"
"Naja, sozusagen. Ich war ein paar Tage in Deutschland."
"Oh, und wie ist es da?"
"Nicht so kalt wie hier."
"In welcher Stadt waren Sie denn?"
"In Bremen."
"In einem Hotel?"
"Nein, ich war bei meiner Mutter."

- Pause -

"Bei Ihrer Mutter?"
"Ja."
"Wohnt die da?"
"Ja, klar!"
Irritierter Blick: "Schon lange?"
Ich muss grinsen, sage nichts.
"Spricht Ihre Mutter denn gut Deutsch?"
"Naja, sie ist Deutsche."
Wieder Pause.
"Und Sie?", fragt die Frau weiter, "sprechen Sie denn auch... problemlos Deutsch?"
Jetzt muss ich wirklich lachen und erkläre den Hausbewohnern, dass ich viel besser Deutsch spreche als Russisch, weil Deutsch meine Muttersprache ist. Weil ich jetzt etwas mehr gesprochen habe, hören die Leute auch Akzent und sicherlich irgendwelche Fehler. Sie sagen nichts mehr, also verabschiede ich mich und rolle meinen Koffer ins Haus.

Zwei Minuten später komme ich wieder raus, weil ich noch einkaufen muss. Auf dem Rückweg vom Dixi-Markt sprechen die Hausbewohner mich wieder an:
"Entschuldigung, dürfen wir Ihnen eine Frage stellen?" Ein mittelalter Mann sagt das.
"Sicher."
"Wie ist das Leben so in Deutschland?"
Ich überlege kurz. "Naja, es ist einfacher als hier."
"Inwiefern?"
"Hm, also Essen ist genauso teuer. Aber die Löhne sind höher. Alle haben Krankenversicherung."
"Aha, alle haben also mehr Geld."
"Ja-nee, nicht direkt. Die Mieten sind viel, viel höher."
"Das habe ich auch gehört", sagt der Mann. "Bis zu 50 Prozent des Einkommens, oder?"
So ungefähr, sage ich.
Weiter geht's mit den üblichen Eckdaten über meine Heimat: Durchschnittlohn, Durchschnittsrente, Steuersatz.
"Stimmt es", fragt der Mann mich, "dass die Leute in Ostdeutschland - Sie wissen schon, Ostdeutschland, das mal DDR war, zur Sowjetunion -, stimmt es, dass die ihr altes Land zurückhaben wollen? Dass es ein Referendum geben soll?"

Meine Frage an Euch: Ist die Titanic-PARTEI ihrem Ziel einen Schritt nähergerückt? Habe ich etwas verpasst?

Ich habe zu dem Mann gesagt, dass manche sich sicherlich die DDR zurückwünschen, die meisten aber meines Wissens nicht. Vielleicht sind die 20-Jahre-Deutschland-Hurrafeiern irgendwie in verfremdetem Kontext in die russischen Medien gelangt? Bevor ich ansetzen kann, von der Einheitsfeierei zu erzählen, fängt der Mann wieder mit dem Referendum an. Dass hier auch so etwas geplant sei. Im Nachhinein ärgere ich mich ein bisschen, dass ich da nicht weiter nachgehakt habe. Kommt die Sowjetunion wieder? Das Gespräch ist irgendwie anders abgedriftet.

Donnerstag, 23. September 2010

Fettes Volksspektakel

Mit dem Goldenen Ring komme ich irgendwie noch nicht weiter. Es war zu beeindruckend, um einfach so darüber zu schreiben. Hier deshalb ein Bericht über ein Ereignis, das einen knappen Monat zurückliegt.

Kriegsspektakel westlich von Moskau: In Borodino wird von den Dorfbewohnern einmal im Jahr die historische Schlacht gegen Napoleon nachgestellt.

Was wie ein Ort am Gardasee klingt, in dem man rotweinschlürfend die Seele baumeln lassen kann, ist in Wirklichkeit ein blutiger Meilenstein der russischen Geschichte: In Borodino, einem Dorf rund 120 Kilometer westlich von Moskau, hat die russische Armee unter General Kutusow einst im Vaterländischen Krieg Napoleons Feldzug aufgehalten. Genauer: Ist von der Grande Armée besiegt worden, nach Moskau geflüchtet, hat die Stadt in Brand gesteckt und ist abgehauen. Die Franzosen marschierten nach Moskau, aber der Winter kam, und jene, die nicht in der Schlacht gefallen oder anschließend erfroren waren, zogen sich dahin zurück, wo sie hergekommen waren.* Wie viele Leute nach den zweitägigen Kämpfen Anfang September 1812 tot waren, weiß man nicht genau. 120 000 Russen hatten gegen 130 000 Franzosen gekämpft, unterschiedliche Quellen sprechen von 24 000 bis 58 000 Toten pro Seite. Auch 35 000 Pferde haben das Zeitliche gesegnet, die Kavallerie musste teilweise zu Fuß weitermachen. Zehn Quadratkilometer sanfte, satt grüne Hügellandschaft: Die Redensart „es sieht aus wie auf dem Schlachtfeld“ muss hier im wörtlichen Sinne angewendet worden sein können.

Historische Reiter lenken ihre Pferde in Richtung des Gefallenen-Denkmals

Obwohl immer wieder damit konfrontiert, kann ich die Kriegsbegeisterung der Russen nicht nachvollziehen.

Schon wer klein ist und mal ein Mann wird, übt sich im Schützengraben. Mama dokumentiert's.

Im Vaterländischen und im Großen Vaterländischen Krieg ging es darum, so viel verstehe ich, die Heimat gegen Eindringlinge zu verteidigen. In beiden Fällen ist das unter riesigen Opfern gelungen. (Der Zweite Weltkrieg habe auf sowjetischer Seite rund 40 Millionen Menschenleben gefordert, habe ich oft gehört. Andere Zahlen sind niedriger, liegen aber immer noch bei 20 oder 25 Millionen Toten, darunter viele Zivilisten.) Die Kombination von erfolgreich verteidigter Heimat und schmerzlichem Verlust ist, das ist meine Wahrnehmung, in das russische Nationalgedächtnis und Selbstverständnis eingegangen. Soldaten sind Helden, und über Orte, Daten und Verläufe von Schlachten weiß man gut Bescheid. Wenn vom Krieg die Rede ist, schwingt meistens eine feierliche Stimmung mit.

Das ist wohl ungefähr der Hintergrund, weswegen die Borodiner die 200 Jahre zurückliegende Schlacht gegen Napoleon inszenieren, ähnlich wie die Oberammergauer das Leiden Christi. Nicht gleich hundert Mal hintereinander, sondern nur einmal. Aber dafür jedes Jahr.

Der „Tag Borodinos“ ist ein Volksfest, zu dem Tausende Zuschauer strömen.

Viele Leute waren zu Fuß unterwegs, um sich die nachgestellte Schlacht anzugucken.

Mit der Elektritschka zwei Stunden aus Moskau raus, dann zu Fuß oder mit dem Bus durch grüne, hügelige Landschaft zum Ort des Spektakels. Am Gefallenen-Denkmal spielt Kriegsmusik, Bläser in historischen Kostümen marschieren, und an zahllosen, schnell entlang der Straße aufgebauten Ständen gibt es Zinnsoldaten und anderen Tand zu kaufen.

Das Interesse an Zinnsoldaten ist rege. Im Hintergrund Luftballons. Nicht im Bild, aber um die Ecke: Hüpfburgen für Kinder.

Musiker marschieren feierlich

Damit die lieben Kleinen sich bis zum Beginn des Gemetzels nicht langweilen, stehen Hüpfburgen, röhnradartige aufblasbare Plastikkugeln und andere Attraktionen bereit.

Die Schlacht selbst findet, damit der geneigte Zuschauer auch alles sieht, nicht im gesamten weitläufigen Gelände statt, sondern auf einer vielleicht 500 Meter breiten Ebene, entlang derer Hügel eine gute Zuschauertribüne bilden. Man betritt diese natürliche Tribüne von der Straße aus durch Metalldetektoren. Gleich reiht sich Schaschlikstand an Schaschlikstand. Die Leute sitzen auf Bierbänken an Biertischen und stärken sich für das Spektakel.

Zu einem Volksfest gehört Fleisch.

Essen fassen

Irgendwann begrüßt ein Mann über Mikrophon die Anwesenden, und in einer langen Prozedur halten die Schlachtteilnehmer unten auf der Ebene Einzug. Fußsoldaten, Kavallerie, alle bunt in verschiedenen historischen Kostümen. Der Mikrophonmann stellt sie alle vor. Einzelne russische Einheiten bejubelt das Publikum, das auf den Grashängen von seinen Decken aufgestanden ist.

Und dann geht es los. Mit lautem "puff" "paff" und "buff" schießen „Russen“ und „Franzosen“ mit großen Kanonen aufeinander, galoppieren auf ihren Pferden wild umher, werden in Kämpfe verwickelt, fallen tot um und stecken strohgedeckte Häuschen in Brand.

Die Infanterie am Start

Was gerade genau passiert, erläutert vor dem Hintergrund klassischer Musik der Mikrophonmann: „Die Einheit von Marschall Davout kommt von Westen durch den Wald“, oder so ähnlich. Eine Stunde lang stopfen die „Soldaten“ die Kanonen immer wieder von neuem und schießen damit Rauchringe in die Luft, eine Stunde lang explodieren „Granaten“ und wirbeln Gras und Erde auf. Dann fällt einer vom Pferd (General Kutusow?), und das Spektakel ist zu Ende. Die Laienschauspieler, alles Borodiner oder Mitglieder historischer Vereine der weiteren Umgebung, werden ausgiebig beklatscht, und die meisten Leute machen sich in Richtung nach Hause auf.

Der Brüller war das Folgeprogramm, das verhindern sollte, dass alle gleichzeitig zum Bahnhof strömen: Die Moskauer Miliz gab zu den Klängen von Rammsteins "Sehnsucht" eine Nahkampf-Schau zum Besten. Zonk-Ponk, auf die Fresse, und durch die Luft gewirbelt sind sie. Auf den Gesichtern vieler derer, die noch dageblieben waren, erkannte ich ein feines Grinsen.

Die Moskauer Miliz lieferte eine beeindruckende Vorstellung.

* Irgendwie variieren hier die Angaben zu den Ereignissen direkt nach Schlachtende in unterschiedlichen Reiseführern und verschiedensprachigen Wikipedias. Je nach Version haben die Moskauer selbst oder die Armee die Stadt angezündet, die Russen die Schlacht im Prinzip gewonnen, die Franzosen Moskau angezündet, nachdem sie sich, weil es kalt wurde, nach Frankreich zurückgezogen hatten. Ich finde die von mir gewählte Version einfach am besten. Außerdem ist sie logisch: Schlacht verloren, also weglaufen und alles kaputtmachen, damit der Feind nix kriegt.

Historischer Mann mit historischer Frau. Die historische Frau ist wenige Meter später abgestiegen, weil ihr der olle Damensitz wohl doch nicht ganz behagt hat.

Montag, 30. August 2010

Schön im ZUM

Bei aller Hektik und Rücksichtslosigkeit: Moskau ist auch sooo schön! Ich habe heute ein bisschen gesucht. Konnte mir nämlich nicht vorstellen, dass es hier nur blöd ist. Das muss an mir liegen, hab ich gedacht. Und natürlich Recht behalten. Sooo schön, wenn man nicht einfach von A nach B will, und wenn man ein bisschen die Augen aufmacht! Wunderschöne Jugendstilhäuser habe ich gesehen, mit Muskelmännern, die atlasmäßig die Balkone tragen. Und so viel Schnörkelei, in Grün, in Rosa, in Gelb. Und Schickmicksachen habe ich gesehen. Dicke Autos, feine Leute. Einen tollen Himmel, wie am Jüngsten Tag. Davor goldene Zwiebeltürme und bunte Mauern. Kleinere Straßen bin ich entlanggelaufen. Ich habe Gegensätze gesehen. Die Ruinen einer Kirche, ein Brioni-Plakat und ein Haus, das aussieht wie von Hundertwasser zusammen auf ein Foto gebracht, im Rücken einen Fachhandel für Ferraris und Maseratis.

Und im ZUM war ich, im Zentralnyj Uniwersalnyj Magasin. "Magasin" heißt Laden, nicht Zeitschrift. Mit stimmhaftem "s". Das ZUM ist der Inbegriff von Schickimicki. Eigentlich bin ich nur rein, weil es draußen kalt war. Hab ich gedacht, geh ich Sachen angucken, vielleicht finde ich eine günstige Handtasche. (Haha, im Zentrum, neben dem Bolschoj-Theater...) Sofort nach Durchschreiten der Tür überrollte mich eine Duftwolke. In der Parfümabteilung gelandet, Volltreffer. Zügig lief ich hindurch, und ständig tauchten Hände mit Duftprobenstreifchen vor mir auf, hörte ich von links, von rechts "Guten Tag, ...", der Rest verhallte. Von Zwangsservice bin ich immer unangenehm berührt. Nach gefühlten 150 Metern fiel mir linkerhand ein Fläschchen ins Auge: Klein, schlank, türkisgraublau, in einem Frische-Design, das an Meer und Steine erinnerte. Ich blieb abrupt stehen, pielte nach links und rechts, wähnte mich unbeobachtet. Drei Schritte rückwärts - bloß keine Aufmerksamkeit erregen! -, Fläschchen in die Hand genommen, hin- und hergedreht. Ein schöner Schriftzug drauf, bisschen asiamäßig. Fläschen aufgemacht, geschnuppert, wie frisch! Wie angenehm! Wie unaufdringlich! Ich setze an, mich einzusprühen. "Guten Tag, kann ich Ihnen helfen?" Oh nein, denke ich, wo kommt die denn jetzt her! "Nein, danke, ich schaue nur", sage ich. Der Zauber ist vorbei. "Das ist die neue Kollektion", fügt sie informierend hinzu. Ich erhasche einen Blick auf den Preis: 1879 Rubel. 45 Euro. Eilig stelle ich das Fläschchen zurück, tue desinteressiert, und bin weg.

Das ZUM ist mehrstöckig. Während auf die Parfümabteilung im Erdgeschoss ein gut sortiertes Perlenkettensortiment folgt, sind in den anderen Stockwerken Klamotten angesagt: Armani, Gucci, Prada, Stella McCartney, Ralph Lauren, Dolce und Gabana, wie sie alle heißen. Preisschilder sind nicht dran. Ich habe mich nicht getraut zu fragen. Die haben schon so komisch auf meine 790-Rubel-Schuhe geguckt, und auf meine abgetragene Stofftasche.

Spannend fand ich noch die Haushaltsabteilung im obersten Stockwerk. Was reiche Leute wohl für Haushaltssachen kaufen? Designer-Mixer? Stylo-Föhns? Ich sag's Euch: Koffer! Solche wie ich einen neu habe. Meiner hat Rollen und einen Teleskopstil, und er kam im Dreierset mit einem Quasi-Schrank und einem kleineren Koffer, in den man den Laptop tun kann und den man dann über den Teleskopstil des Mittel- oder Schrankkoffers stülpt, so wie die Stewardessen. 119 Euro das Set, von einer anständigen Marke. Reiche Leute aber müssen für einen (!) Koffer, der zudem bloß dem kleinsten in meinem Kofferdreierpack entspricht, 12 000 Rubel hinblättern. Das sind 300 Euro. Das ist noch mehr, als ich hier Miete für ein Zimmer zahle. Was für eine Geldverschwendung! Ist es schlimm, dass ich jetzt vergessen habe, was für ein Name für das viele Geld auf dem Koffer steht?

Donnerstag, 26. August 2010

Von der Unmöglichkeit sich abzuschotten

Langsam kriege ich einen Koller. Wobei: "Langsam" ist gut, und "kriegen" ist auch gelogen. Langsam habe ich einen Koller.

So sieht es in der Metro aus, wenn die Leute zur Arbeit oder nach Hause fahren.

Es ist laut. Es ist voll. Sie drängeln, sie schubsen, sie laufen dir vor die Füße, sie treten dir in die Hacken, sie bleiben einfach stehen. Die Leute schneiden dich, atmen dich an, sie drücken, sie quetschen. Die U-Bahn schreit lauter als die Kinder in ihr brüllen, lauter als dein i-pod Marilyn Manson spielt. Und es dauert. Mindestens drei, oft vier, manchmal noch mehr Stunden verbringe ich täglich in Moskauer Bussen, U-Bahnen und auf den Wegen dazwischen. In der U-Bahn je nach Berufsverkehrslage - ich sehe zu, dass ich erst gegen elf, halb zwölf in der Redaktion auflaufe, um das unmenschliche Gequetsche zu umgehen -, im Bus je nach Stau. Stau ist auf dem Heimweg eigentlich immer, wenn du vor neun zu Hause sein willst. Und das nicht nur wegen hohen Verkehrsaufkommens: Meistens, wenn doller Stau ist, taucht irgendwann der Grund für die Rumsteherei auf: Ein klitzekleiner Auffahrunfall, bei dem die Kontrahenten die Autos aber auf den anderthalb betroffenen Spuren stehen lassen. Obwohl nicht einmal ein Blinker abgefallen ist. Bei einer kleinen Straße mit drei Spuren pro Richtung merkt man so etwas natürlich. Auf wen die dann warten neben ihren Autos, ist mir nicht ganz klar. Denn schon öfter ist die Miliz mit Blaulicht an Stau und Bus vorbeigebraust, ohne dass sie anschließend am Unfallort zu sehen war.

Was so etwas soll, das weiß ich nicht. Kann man da nicht ein Handyfoto machen und an den Rand fahren mit den Autos? Was soll die ignorante Rücksichtslosigkeit? Alle anderen brauchen nicht fünf Minuten, sondern locker eine halbe Stunde länger nach Hause. Und überhaupt, jetzt mal stauunabhängig: Muss ich mir an den Hintern grapschen lassen, nur, weil ich einem entgegenkommenden Typen nicht ausweiche und seinen aggressiven Blick erwidere? Obwohl der allen Platz zum Ausweichen hat und ich keinen? Obwohl ich hätte langsamer werden und hinter Leuten herlatschen müssen?

In einem deutschsprachigen Reiseführer lese ich folgendes: "Einen direkten Blickkontakt empfinden viele Russen als überheblich und aufdringlich, vor allem Mädchen und junge Frauen schauen ihr Gegenüber selten direkt an, ein Lächeln scheint ihnen ebenfalls nicht angebracht."

Abends spät - und bei manchen auch am Tag - kommt der Alkohol hinzu. Schwanken, Lallen, brutale Fahne. An der U-Bahn-Endstation schlafen Obdachlose, liegen da wie 'Tote.

Ihr merkt: Auch, wenn ich nicht ins oberbayerische Hinterland gehöre - für eine Zehnmillionenstadt bin ich nicht gemacht.

Sonntag, 22. August 2010

Mein Wochenende

Das mit dem Regen ist noch ein bisschen mehr geworden:

Regen. Damit die Leute trockenen Fußes zur U-Bahn kommen, hat man eilig Europaletten ausgelegt. Doch Obacht: Die Bretter sind häufig lose. Und von oben, durch das kaputte Wellblech, tropft es sowieso.

Mittlerweile ist es mittelkühl, so knapp bei 20 Grad, mal bedeckt mit Regen, mal ohne, mal sonnig. Kein Rauch. Sobald man sich abseits der Touripunkte befindet, ist jetzt das in Russland übliche Pfützenumkurven angesagt.



Mein Wochenende war äußerst ereignisreich: Ich war Teil eines Familienausflugs im Siegespark, wo man sich als Freizeitvergnügen echte Panzer, Kriegsflugzeuge und -schiffe und Kanonen anguckt und sich in nachgebauten Schützengräben verirrt.

Siegespark: Panzer, Flugzeuge, Kanonen und andere Waffen anzugucken ist ein Vergnügen für Groß und Klein.

Ich war mit Pressekarte auf einem Konzert einer Gruppe, die ich total toll finde. Ich habe mich auf einer politischen Kundgebung über die Miliz geärgert und ihre vorsinnflutliche Technik bestaunt.

Eine Frau verstreut Körner entlang der Parkgrenzen, da, wo die Miliz steht. Das soll die Tauben anlocken. "Ich werde ja wohl die Vögel füttern dürfen", verteidigt sie sich gegen einen Milizionär, der sie aufhalten will. Die Frau hat viele Tüten mit Körnern dabei. Die Rechnung geht auf.

Ich habe abends auf dem Roten Platz die Touristen beobachtet.

Auf dem Roten Platz habe ich bei Mondschein Touristen beobachtet. Das Gerüst, das da steht, ist schon für das Konzert internationaler Militärmusik, das bald stattfindet.

Ich war im Wald. Ich habe nachmittags an der Moskwa gesessen und Bier getrunken. Und einmal habe ich ausgeschlafen.

Mehr Fotos im Moskau-Ordner. Ist allen bekannt, dass, wenn man den Cursor auf dem kleinen Foto lässt, da ein Text erscheint, den ich geschrieben habe? Da gebe ich mir nämlich mitunter richtig Mühe. Wär schade, wenn das an welchen vorbeiginge.

Dienstag, 10. August 2010

20

Meine Mitpraktikantin ist sehr nett. Sie ist erst 20 und steht ganz am Anfang ihres Studiums. Und das merkt man halt, wenn man fast 30 ist und hinterm Ende des Studiums. Jetzt telefonierte ich gestern mit meiner aus Rauchgründen schwer besorgten Mutter, und die sagte: „Ja, natürlich merkt man das. Das ist einfach ein anderer Lebensabschnitt.“

URKS! Bin ich jetzt alt? Hab ich was verpasst? Wieso ist denn plötzlich ein Lebensabschnitt vorbei, in dem man schon erwachsen ist?? Will sagen: war? Oder ist das alles ein Trugschluss? Als nächstes lauert der Tod, oder was? Hey, wir waren doch schon so erwachsen, hatten nen Komplettplan von allem und die Weisheit mit Löffeln gefressen! Nach Alleswissen kommt doch vorbei, oder? Oder war das auch ein Trugschluss? Bitte sagt was dazu! Habt Ihr da schonmal drüber nachgedacht?

Und, das ist jetzt ein anderes Thema: Ist Euch auch mal son kleiner Klugscheißer von anfang, mitte 20 gekommen und hat Euch darüber aufgeklärt, was Ihr alles hättet anders machen müssen in Eurem Studium respektive überhaupt in Eurem Leben? Ohne dass er sich länger als fünf Minuten mit Euch unterhalten hätte? Ich hätt ihn an die Wand klatschen können, den Vollidioten! Von nichts ne Ahnung, und sowas von unsensibel! Wie geht man um mit solchen Leuten? Das sind doch die, die dann erfolgreich in Politik und Wirtschaft aufsteigen, oder?

Bitte um Erfahrungsberichte. Auch zum Thema „abgeschlossener Lebensabschnitt“. Ehrlich jetzt mal: Werden wir alt? Ist man das nicht erst, wenn man Enkelkinder hat?

Montag, 9. August 2010

Kotzen und Stolz

Und uebrigens koennt ich kotzen ob all der unterschiedlichen Zahlen, die ueberall stehen! Eine Zeitung sagt so, eine so, eine noch wieder anders. Vor allem bei Zahlen, das ist furchtbar! Da muss es doch belastbares Material geben Wie soll denn da eine die Dinge so zusammenfassen, dass sie glaubhaft einen Sinn ergeben?!? Oder soll man einfach die Regierungszahlen nehmen und gut is? Oder einfach bei deutschen Medien abschreiben, frei nach dem Motto "die werden ihre Daten schon geprueft haben"? Das geht doch auch nicht! So ein Nervkram! Ich moechte bitte etwas schreiben ueber... weisz auch nicht. Wo's halt keine Zahlen gibt, keine unterschiedlichen. Ich mochte Zahlen sowieso noch nie.


Und: hoho! Heute habe ich mein erstes Recherchetelefongespraech auf Russisch gefuehrt. *stolz* Zu sagen, was ich sagen wollte, war nicht so schwer. Aber zu verstehen, was DIE sagt.... Naja, aber es ging. Ein groszer Prozentsatz der Info ist haengengeblieben, und jetzt wird da ein Artikel von. Ein Artikel ueber ein ziemlich cooles Kino. Sobald der Rauch weg ist und ich wieder da, werd ich da mal hingehen: Geheimtippfilme, viele auslaendische, alles OmU, und wohl tolle Atmosphaere, null so Standard-Zeugs. Man darf gespannt sein!

Samstag, 7. August 2010

Donnerstag abend: Erste Moskau-Eindruecke

Ich bin nicht, wie geplant, ab Riga mit dem Bus hierhergefahren. Ich bin geflogen, wegen der Braende. Glaubt man Spiegel Online und Co., so ist es hier auch ganz, ganz fürchterlich. Ich kann nur sagen: Am Mittwoch hat das definintiv gestimmt. Im Landeanflug war nichts als Grau zu sehen, erst ganz spät, vielleicht ne Minute vor der Landung, konnte man durch den Smog und Rauch Häuser und Straßen ausmachen.
Es ist nicht so, dass ich keinen Schiss hatte, in dieses Wetter nach Moskau zu fahren. Das wurde auch beim Anflug nicht besser. Hier sind wir ziemlich kurz vor der Landung, man kann Haeuser und Straszen ausmachen.
Als ich dann auf die Gangway trat, wurde mir schlagartig klar, was mit „zhará“, also „Hitze“, gemeint war. Ich kämpfe gegen den Drang an, mich umzudrehen, zurück in den Flieger, und einfach stumpf auf den Rückflug nach Riga zu warten. Irgendein Platz bleibt doch immer frei. Aber ich gehe natürlich weiter. Im Flughafen drinne ist es etwas kühler als in der Gangway, aber es riecht entsetzlich verbrannt. Die Passkontrolle geht dann viel schneller vonstatten als damals auf dem Weg nach Wladiwostok (da habe ich über eine Stunde gewartet und anschließend fast meinen Anschlussflug verpasst), und die Grenzerin freut sich über eine deutsche Reisende. Die kommen jetzt nämlich meistens woanders an, sagt sie.

Mein Hauptmieter und Mitbewohner war so lieb, mich mit dem Auto vom Flughafen abzuholen. Zunächst habe ich ihn zum falschen Terminal geschickt, aber ich durfte trotzdem bei ihm einziehen. (Gleich am naechsten Morgen habe ich mich übrigens wieder unbeliebt gemacht, weil ich zwischen viertel nach acht und halb neun ums Verrecken eines der Türschlösser nicht aufgekriegt hab. Ich musste ihn wecken, wie peinlich!) Sonst kann ich noch nicht viel ueber ihn erzählen; wir sehen uns kaum, und ich bin auch ganz schön kaputt weil bisschen kränkelnd und deshalb immer früh im Bett. Vor allem gestern, am luftverschmutztesten Tag bisher, war die Luft meiner Erkältung auch wirklich nicht förderlich. Will sagen: Der Genesung von meiner Erkältung. Die Luftverschmutzung betrug gestern, das hab ich heut in einer hiesigen Zeitung gelesen, 30 Prozent. Was auch immer das genau bedeuten mag – es ist definitiv unangenehm. Kratzt und beißt in Augen, Nase, Hals. Viele Leute husten, manche haben draußen nasse Taschentücher vorm Gesicht. Offiziell sind bis jetzt 50 Leute in den Bränden umgekommen, aber natürlich gibt es da auch andere Schätzungen. Zu den gesundheitlichen Auswirkungen des Qualms und Smogs in der Stadt gibt es meines Wissens keine offiziellen Angaben, aber ich habe gehört, dass bei Bestattungsunternehmern der Laden derzeit brummt. Der Stromverbrauch in Moskau lag gestern zehn Prozent über dem Vorjahreswert. In der Redaktion haben wir eine Klimaanlage, zu Hause nicht. Morgens und abends werden hier die Straßen geduscht. Morgens kommt ein Fahrzeug, abends scheint das eine nachbarschaftliche Aktion zu sein. Dann sitzen auch die ganzen Babuschkas in ihren kittelschürzigen Kleidern vor den Eingängen und schnacken.

Mehr gibt’s noch nicht zu Moskau. Ich schreibe dies am Donnerstag abend, nach meinem ersten Arbeitstag. Zur Arbeit gibt es an Wichtigem bisher nur zu sagen, dass wir viele Praktikantinnen sind, die anderen nett, und die Räumlichkeiten klimatisiert. Oh, und auf dem Heimweg habe ich mich verfahren mit dem Bus. Aber so spektakulär ist das auch nicht, ich kann ja Schrift und Sprache. Hey, in China wär das ne Story!

Stumm in Moskau

Der Rauch hat gesiegt. Erkaeltet war ich schon in Bremen, in Riga kam ordentlich Halsweh dazu. Smog, Fahrtwind im Bus und die bei 40 Grad und gefuehlten 10 Prozent Luftsauerstoff eigentlich so segensreichen Klimaanlagen haben mir den Rest gegeben: Ich bin stumm. Zeit also, endlich das lang versprochene Blog anzulegen.

Noch immer habe ich keine Atemschutzmaske gefunden. Ueberall, wo ich frage, sind sie ausverkauft. Ich behelfe mir mit meinem Lieblingstuch, das ich einmal mit einer lieben Freundin in Prag gekauft habe.

Moskau ist bestimmt voll toll. Aber viel kann ich leider noch nicht sagen. Ich bin seit Mittwoch hier, arbeite als Praktikantin bei der Moskauer Deutschen Zeitung. Aber da geht's erst am Montag richtig los, wenn die Chefin wiederkommt. Man sagt ja, Moskau sei so furchtbar hektisch. Aber im Moment sehe ich da nicht viel von. Die Stadt scheint gelaehmt, die Leute sich in Zeitlupe zu bewegen. Blosz nicht zu tief einatmen.

Untergekommen bin ich bei einem ueber drei Ecken Bekannten in Ximki im Norden Moskaus. Ximki ist eine eigene Stadt. Wenn man das aber nicht weisz, merkt man es nicht. Moskau ist ein Moloch, alles geht ineinander ueber. Die Tatsache, das Ximki eine eigene Stadt ist, gewinnt aber an Bedeutung, wenn man eine Monatsmarke fuer den Bus kaufen will: Beinahe haette ich eine Moskauer Karte gekauft. Guenstiger waere sie gewesen als das, was man mir prophezeite! Aber was nuetzt sie, wenn ich damit nicht nach Hause komme. Jezt habe ich immer noch keine Monatsmarke und zahle fuer jede Fahrt etwa 80 Cent. Manche Sachen sind hier SO SCHWER zu finden! Und das, obwohl ich ja wirklich nicht schlecht Russisch spreche! Aber das tickt einfach anders hier.

Dem Rauch ist egal, ob es dunkel wird oder nicht. Auf dem Heimweg habe ich bisher beide Male lange im Stau gestanden. Eins ist klar: ICH haette keinen Bock, hier Auto zu fahren.

Zum Blog: Voruebergehend wird es aus gegebenem Anlass die Rubrik "Rauch aktuell" geben. Ueber die Skurrilitaeten des Alltags berichte ich in "Die Logik der anderen". Fest sind Ordner fuer die Staedte. Da sind alle Sachen drin. Der Riga-Ordner hat nicht wirklich viel zu bedeuten, aber das Bild mit den niedlichen Stadtmusikanten wollt ich Euch nicht vorenthalten.

Auf der Startseite ist erstmal nur dies, Ihr muesst also in den Ordnern rumklicken. Wenn alles gutgeht und die Kiste nicht wieder abstuerzt, bis ich die Bilder hochgeladen und ne Rundmail geschickt habe, habt Ihr vielleicht ne muggelige Sonntagsbeschaeftigung.

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Ich esse ja kaum Fleisch. Aber wenn, dann richtig.

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