Freitag, 10. September 2010

Bibliotheken II

Vor der Russischen Nationalbibliothek in Sankt Petersburg stehen Alte Griechen.

In die Bibliothek geht man in Petersburg so: Mit dem Ausweis zu Wachleuten. Die händigen einen Laufzettel aus. Mit Laufzettel und Ausweis vorbei an einem Scanner - der Ausweis hat nen Strichcode - zum elektronischen Katalog. Bücher finden. Für jedes gewünschte Buch einen kleinen Papierzettel ausfüllen: Buchtitel, Autor, Seriennummer in der Bibliothek, eigener Name, Bibliotheksausweisnummer. Datum nicht vergessen! (Gibt sonst Umstände.) Mit den gesammelten Zetteln an einen Tresen, da ist die Ausleihe. Unbedingt auch auf dem Laufzettel die Ausweisnummer und den Namen eingetragen haben!! Eine Frau nimmt dann die Zettelwirtschaft an sich, sortiert, tut und macht. Allerdings sind nicht alle Bücher an genau diesem Tresen zu bestellen, für manche muss man auch in andere Abteilungen und Stockwerke. Ich denke, mit der Zeit verliert das aber seine Wunderlichkeit. Gut: Nach zwei Stunden kann man die meisten Bücher abholen. Wie in der Schulbibliothek werden Zettel aus Innentaschen gezogen. Dann wird ein Vermerk auf dem Laufzettel gemacht, und endlich, endlich, begibt man sich mit der Lektüre in einen Lesesaal der Wahl.

Bevor man die Bibliothek verlässt, gibt man alle Bücher wieder dort ab, wo man sie hergeholt hat. Auf dem Laufzettel werden entsprechende Vermerke gemacht. Hat man etwas kopiert, wird auch die Anzahl der neuerworbenen DIN A4-Seiten auf dem Laufzettel vermerkt. Beim Rausgehen scannt man wieder den Ausweis und gibt den Laufzettel einer Sicherheitsperson. Diese kontrolliert, ob alles Ausgeliehene zurückgegeben worden ist und wirft einen kurzen Blick auf das, was man so bei sich trägt. Hat man nichts geklaut, darf man gehen.

Die Russische Staatsbibliothek in Moskau, Lenin und Touristen

In Moskau in der Lenin-Bibliothek (die jetzt "Russische Staatsbibliothek" heißt, die aber meines Wissens keiner so nennt) funktionert das ähnlich, bloß ist es nicht ganz so kompliziert. Zudem gilt das Kärtchen auch gleich für fünf Jahre. Die Lenin-Bib ist, wenn man reinkommt, ein bisschen wie die Stabi in München: Große breite Treppe, dann eine Halle. In dieser Halle, in der in München oft Ausstellungen sind, stehen in Moskau ungezählte Zettelkästen: Nur Werke der vergangenen zehn Jahre sind nämlich im elektronischen Katalog zu finden. Das Gebäude ist, obwohl es, glaube ich, nicht ewig alt ist, von innen wunderschön. Im ersten Stock gibt es eine rumpelige kleine "Bücherei", in der ungezählte Bücher aus allen möglichen Ländern, in verschiedenen Sprachen, einem mir unverständlichen System nach in Regalen stehen. Überall gucken weiße Pappschilder aus den vollgequetschten Bücherreihen heraus. Auf den Pappschildern stehen handschriftliche Hinweise über die Art der hier aufbewahrten Literatur: "Soziologie", "russische Literatur", "Pädagogik", "ausländische Literatur". Die Gänge sind eng, und überall, wo ein bisschen mehr Platz ist, als ein schlanker Mensch zum hindurchschlüpfen braucht, stapeln sich Kartons mit noch mehr Büchern. Hier darf man wirklich richtig selbst durchgehen und stöbern. Ein Traum.

Aber ich schweife ab. Zurück zum Gebäude: Überall Teppiche, Holz, auf den Fluren Sofas, auf denen die ausgeliehenen Bücher daraufhin überprüfen kann, ob man sie mit in den Lesesaal nehmen soll. An der Information guckt eine Dame grimmig. Zettelkästen stehen auch hier vereinzelt rum, aber auch Touchscreens. An letzteren kann man sich direkt den Zettel ausdrucken lassen, mit dem man ein Buch entleihen möchte. (Datum aber von Hand draufschreiben, und Unterschrift!)

Zettelkästen dienten in vergangenen Zeiten der Literaturrecherche. Ganz sind sie noch nicht ausgestorben.

Überwältigend ist der Lesesaal der Russischen Staatsbibliothek. Hohe Decke, oben an den Wänden ringsum Büsten der Größen des Sozialismus. Dunkle Holzregale voller Wälzer an den Wänden; die Lesetische aus dem gleichen Holz, in zahllosen Reihen angeordnet, erinnern mit ihrem Aufsatz an Sekretäre. Die Leselampen sind nicht im Retrodesign, sie sind Retro: Grüne Glasschirme an Messingarmen, die Glühbirne ist über einen Kippschalter am Tisch vorderhalb der Platte anzuknipsen, direkt vorm Körper. 60er-Jahre-Style. Zumindest am hinteren Ende des Lesesaals gibt es eine kleine Empore, auf der auch wieder Lesetische und Bücherregale stehen. Der Fußboden: Parkett, auf den Hauptwegen Teppiche. Weiche Teppiche, leise Teppiche. Ich glaube, sogar mit Muster. Als ich zum ersten Mal diesen unglaublichen Lesesaal betreten habe, bin ich bass stehengeblieben, und mich überkam ein ganz gemütliches und kribbeliges Gefühl: So etwas Schönes! Schnell reißt es einen allerdings raus aus der Romantik, wenn man zu einem der schönen Sektretär-Lesetische gehen will: Abseits der Teppichläufer verursachen die losen Parkettbrettchen in der Stille des Lesesaals mitunter ein deutliches "klack-klong", wenn man nicht aufpasst, wo man hintritt.

Die Russische Staatsbibliothek hat übrigens einen Ableger in Chimki. Hier befindet sich unter anderem das Zeitungsarchiv Russlands, der Sowjetunion und wahrscheinlich auch des Zarenreichs. Das Ausleih- und Zettelsystem ist hier noch einmal ein anders, man fährt seine Zeitungen nach Lektüre zum Beispiel selber mit einem Wägelchen zum Regal. Ein tolles Erlebnis.Und überhaupt: An Regentagen in Sowjetzeitungen blättern, das ist mit Russischkenntnissen ein Muss. Ans Mitnachhausenehmenwollen denkt man da gar nicht mehr.

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Kaliningrad - Moskau - Straszburg?

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Oh je! Aber immerhin...
Oh je! Aber immerhin bist du angekommen. Das ist mehr,...
Lady73 - 15. Okt, 22:20
Wow, schön!
Schöne Bilder. Und klingt nach einer tollen Zeit!
Lady73 - 15. Okt, 22:17

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Die Wolga ist ein inspirierender Fluss. Ich versuche, die Hausmannskost aus dem Bauch zu dehnen.

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Zuletzt aktualisiert: 6. Jan, 21:56

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